16. Mai 2011

Stadtspaziergang „Gentrifizierung“ mit ehemaligen Münchner Stadtbaurätin Christiane Thalgott



Am Freitag den 6. Mai trafen sich ein Dutzend eifriger Stadtentwickler der Grünen Jugend München vor dem Stadtbüro um gemeinsam die weite Reise zur U-Bahnstation Schwanthalerhöhe anzutreten. Dort angekommen, wurden sie sogleich von Christiane Thalgott, die ehemalige Stadtbaurätin Münchens, freudig in Empfang genommen.

Zunächst zeigte sie uns anhand einer Karte, die Entwicklung des Viertels. So bildet der Park hinter der Bavaria, den König Ludwig der I. in Auftrag gab, die grüne Lunge des ansonsten eher grauen Viertels. Rundherum wuchs langsam aber beständig die Messe zu beträchtlicher Größe heran. Als dann Anfang der 90er Jahre die Messe nach Riem umzog, wurde ein riesiges Areal frei. Eine Spielwiese und städtebauliches Experimentierfeld das es zu gestalten galt. Die Stadt entschied sich damals die Fläche für den Wohnungsbau frei zu geben, wobei ein Drittel des Areals an private Investoren verkauft, ein Drittel für den sozialen Wohnungsbau reserviert und ein Drittel gemäß dem München-Modell gebaut wurde.

Ansatz ist eine massive, städtische Subvention der Baugrundstücke. So können vor allem Münchener Familien mit mittleren Einkommen preisgünstiges Wohnungseigentum in der Stadt erwerben. Die subventionierten Grundstücke werden durch Stadtratsbeschluss an ausgewählte Wohnungsbauunternehmen, Bauträger oder Genossenschaften abgegeben, die darauf Eigentumswohnungen (in Einzelfällen auch Eigenheime) oder Mietwohnungen bauen. Im Auswahlverfahren sorgt die Stadt durch die Überprüfung der späteren Verkaufspreise bzw. Mieten für eine Kostenkontrolle, was den künftigen Erwerbern bzw. Mietern zugutekommt. Umweltfreundliche, gesunde und energiesparende Bauweise entsprechend dem Ökologischen Kriterienkatalog der Stadt wird dabei zur vertraglichen Verpflichtung gemacht. (siehe auch httpss://www.muenchen-modell.de/)
Ziel der Drittelung der Grundstücksvergabe ist eine Ghettoisierung zu verhindern und die soziale Durchmischung zu fördern. So ist dies tatsächlich auch bislang das einzige erfolgreiche Mittel der Stadt beim Kampf gegen die Gentrifizierung. Bei den Bestandsmieten hingegen, führt Christiane Thalgott aus, sei die Stadt machtlos, da das Mietrecht Bundesrecht sei.

Staunend schlendern wir nun durch das wunderschöne, parkartige Neubaugebiet hinter der Bavaria. Durch die offene Würfelbauweise anstelle einer geschlossenen Randbebauung wirkt das Areal viel luftiger und offener. Ein Unterschied zwischen Wohnhäusern mit München-Modell oder Sozialbindung auf der einen und frei finanzierten Häusern auf der anderen Seite ist rein optisch allerdings nicht auszumachen. Nur die Bausubstanz, erklärt uns Christiane Thalgott, sei bei den sozialgebundenen Mietwohnungen besser als bei freifinanzierten Eigentumswohnungen, da hier in der Regel mehr auf Design, denn auf langanhaltende Qualität geachtet wird. Außerdem finde sich sehr selten Gewerbetreibende oder gar Gaststätten in einem freifinanzierten Haus, da dies den Kaufpreis zu sehr drücke. Wichtig sei es aber auch – gerade bei solch einer dichten Bebauung, wie am Bavariapark- Freiflächen für Kinder und Jugendliche zu lassen.

Nun führt uns Frau Thalgott in die liebevoll sanierten alten Innenhöfe des Brauerviertels etwas weiter nördlich in Richtung S-Bahnstammstrecke. Früher brachten hier die Schäffler mit lauten Hammerschlägen ihre Fässer in Form, direkt nebenan wetzten die Metzger ihre Messer und von der nahen Augustinerbrauerei wehte ein süßlicher Malzgeruch rüber. Reich war es noch nie, das Münchener Westend. Das musste auch die Stadtverwaltung bei der Grundsanierung Anfang der 1970er Jahre zähneknirschend zur Kenntnis nehmen. Denn die Bausubstanz der alten Arbeiter und Handwerkerhäuser war, auf Grund Geldmangels, sehr schlecht. Teilweise fehlte es sogar an Bädern in den einzelnen Wohnungen, was die Kosten bei der Sanierung erheblich steigerte. Doch bereits damals verstand es die Stadt durch Sozialbindung und Eigenheimförderung auch den sozial Schwächeren eine eigene Bleibe zu ermöglichen. Heute ist in den mittlerweile grünen Hinterhöfen nur noch das Krakeelen glücklicher Kinder zu vernehmen, die unter den wachsamen Augen ihrer Eltern zwischen Schaukel und Rutsche rumtoben.

Da uns nach solch einer langen Zeitreise durch die spannende Geschichte des Westends langsam die Beine schwer werden, machen wir uns wieder auf in Richtung U-Bahnstation Schwanthalerhöhe, bedanken uns bei Frau Thalgott für die tolle Führung und die geduldige Beantwortung zahlreicher Fragen, verabschieden uns und fahren wieder hinunter in den dunklen Bauch der Stadt.

Für den AK Stadtentwicklung Lisa und René



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