Offener Brief zum 365€-Ticket für Studierende
An den Ministerpräsidenten des Freistaat Bayern Dr. Markus Söder und den Staatsminister für Wohnen, Bau und Verkehr Christian Bernreiter
2020 wurde das 365€-Ticket für Schüler*innen und Auszubildende in Bayern eingeführt, dessen Kosten zu 2/3 vom Freistaat Bayern und zu 1/3 von den Kommunen getragen werden. Studierende sind aktuell als einzige Gruppe, die sich ebenfalls in Ausbildung befindet, vom Bezug dieses Tickets ausgeschlossen. Die Landeshauptstadt München hat mit den Verbundlandkreisen eine Finanzierung zur Aufnahme der Studierenden in das 365€-Ticket erarbeitet. Aus dieser hat sich der Freistaat Bayern leider kurzfristig zurückgezogen. Dieser offene Brief erklärt den Sachstand zum 365€-Ticket für Studierende und benennt die notwendigen Schritte, um ein Scheitern dieses wichtigen Vorhabens
abzuwenden.
- Ungleichbehandlung von Studierenden und Auszubildenden verändern
2016 wurde nach langjährigen Verhandlungen des AK Mobilität der Münchner Studierendenvertretungen und des Studentenwerk München mit den Münchner Verkehrsunternehmen ein Semesterticket als fester Bestandteil des Tarifangebots des Münchner Verkehrs- und Tarifverbunds (MVV) etabliert, das die Studierenden zuvor in Form einer Urabstimmung mit einer breiten Mehrheit befürwortet hatten.
Das Semesterticket besteht dabei aus zwei Komponenten: Einem Solidarbeitrag, der für alle immatrikulierten Studierenden verpflichtend ist, und einem freiwilligen Aufpreisticket, der IsarCard Semester. Beide zusammen ermöglichen eine durchgängige Mobilität im gesamten MVV-Netz für ein Semester. Ursprünglich 2012 im Rahmen einer Pilotphase für 200 € (50€ Solidarbeitrag, 150 € IsarCard Semester) pro Semester eingeführt, ist das Münchner Semesterticket seitdem stark im Preis gestiegen und mit aktuell 281,30 € (72,00 € Solidarbeitrag + 209,30 € IsarCard Semester) eines der teuersten Semestertickets in ganz Deutschland.
Das langfristige Ziel des Netzwerks Junge Mobilität des Kreisjugendring München-Stadt (KJR) war immer ein 365€-Ticket für alle jungen Menschen in Bildung und Ausbildung im ganzen MVV-Gebiet. Deshalb engagieren sich dort seit 10 Jahren neben Vertretern und Vertreterinnen der Jugendorganisationen und Jugendverbände auch Repräsentantinnen von Azubis, Schülerinnen und Studierenden. Die Einführung des Tickets für Schüler*innen und Auszubildende 2020 war ein erster
großer Erfolg auf dem Weg dorthin. Das Netzwerk Junge Mobilität und seine Mitglieder arbeiten seitdem an der Ausweitung des Tickets auf Studierende. Auch im Koalitionsvertrag zwischen CSU und Freien Wählern ist die schrittweise Einführung eines allgemeinen 365€-Jahrestickets ein erklärtes Ziel [1].
Das Ticket ist in folgenden Städten verfügbar: München (MVV), Erlangen & Nürnberg (VGN), Regensburg
(RVV), Augsburg (AVV), Würzburg (VVM), Ingolstadt (INVG)
- Finanzielle Entlastung für Studierende und Bindung junger Menschen an den ÖPNV
Das Studium als Zeit der akademischen Ausbildung ist eine Lebensphase, in der das finanzielle Budget,
besonders in einer Stadt mit hohen Lebenshaltungskosten wie München, sehr angespannt ist. Die
Corona-Pandemie hat die finanzielle Lage der Studierenden nochmals verschärft. Es ist den
Studierenden nur schwer vermittelbar, warum sie knapp 200€ mehr für die gleichen Verkehrsleistungen
bezahlen müssen wie anderen Personen in Ausbildung3
. Die Erweiterung des 365€-Tickets würde eine
erhebliche finanzielle Entlastung für die Studierenden in einer der teuersten Hochschulregionen
Bayerns bedeuten. Insbesondere vor dem Hintergrund steigenden Energiepreisen erscheint uns diese
Entlastung notwendig. Außerdem können preisattraktive Mobilitätsangebote junge Menschen an den
ÖPNV binden und so helfen sowohl heute als auch in Zukunft Emissionen im Mobilitätssektor
einzusparen und die Verkehrswende voranzutreiben. - Zusagen einhalten: Finanzierung zwischen Kommunen und Land gerecht verteilen
Bereits im Oktober 2019 hatten sich daher das Studentenwerk München und der AK Mobilität München
in einem gemeinsamen Brief an Herrn Ministerpräsident Dr. Markus Söder für eine rasche Aufnahme
der Studierenden in das 365€-Ticket eingesetzt. Auf einen Brief an die Verkehrsministerin Kerstin
Schreyer folgten Gespräche mit dem federführenden Ministerium sowie Politikerinnen im Verkehrsausschuss des Bayerischen Landtags. In den Gesprächen wurde von Seiten der CSU deutlich signalisiert, dass der Freistaat bereit wäre, analog zum 365€-Ticket für Schülerinnen und
Auszubildende ebenfalls 2/3 der Kosten für die Absenkung des Semestertickets auf insgesamt 365€
pro Jahr zu übernehmen. Auch auf eine schriftliche Anfrage bei der CSU-Landtagsfraktion erhielt der
AK Mobilität die Zusage für die 2/3-Finanzierung. Vor dem Hintergrund dieser Finanzierungszusage hat
der Münchner Stadtrat im April dieses Jahres einstimmig die Aufnahme der Studierenden in das 365€-
Ticket bis spätestens 2023 beschlossen [2]. In den letzten Monaten fanden intensive Gespräche
zwischen der Landeshauptstadt und den im MVV vertretenen acht Landkreisen4 statt, um die Aufteilung
des verbleibenden Drittels zwischen allen beteiligten Akteuren im MVV zu erarbeiten.
Während somit auf kommunaler Ebene die Weichen für die Aufnahme der Studierenden in das 365€-
Ticket gestellt waren, hat sich der Freistaat Bayern für uns völlig überraschend in einem Schreiben des
Staatsministers für Wohnen, Bau und Verkehr Christian Bernreiter Anfang Juni an den
Oberbürgermeister Dieter Reiter aus der Finanzierung zurückgezogen. Das Ministerium scheint also
nach dem Ministerwechsel völlig vom bisherigen Kurs abzuweichen. Im Netzwerk Junge Mobilität sowie
im AK Mobilität engagieren sich Vertreter und Vertreterinnen junger Menschen ehrenamtlich in ihrer
Freizeit, um die Mobilität der Zukunft für junge Menschen mitzugestalten. Dabei müssen sich die jungen
Menschen auf die Aussagen der Politik verlassen können. Die Zusage der Bayerischen Staatsregierung
zur Beteiligung an der Finanzierung des 365€-Tickets für Studierende war der Grundstein für das
Engagement auf kommunaler Ebene. Durch den abrupten Kurswechsel ist all dies vorerst hinfällig. Ein
wertschätzender Umgang mit ehrenamtlichem Engagement und ein höherer Grad an Verlässlichkeit
und Kontinuität wäre wünschenswert. - Runder Tisch und Bekenntnis des Freistaats zur Finanzierung
Während der Corona-Pandemie haben die Münchner Studierenden allein durch die verpflichtende
Zahlung des Solidarbeitrags 27 Millionen Euro für den ÖPNV gezahlt5
. Und das bei einer wesentlich
geringeren Nutzung des ÖPNV für ihre Studientätigkeit, da die Hochschulgebäude zeitweise
geschlossen waren und Lehrveranstaltungen fast ausschließlich digital stattfanden. Im Gegensatz zu
anderen Verkehrsbünden, wie zum Beispiel im Rhein-Main-Verkehrsverbundes (RMV), war es nicht
möglich, sich vom Solidarbeitrag befreien zu lassen. Vor diesem Hintergrund waren die
Preissteigerungen im Semesterticket zum Tarifwechsel Ende 2021 von fast 4% eine schwere Belastung
für die Studierenden [3].
Bereits jetzt herrscht unter den 125.000 Studierenden in München großer Unmut über den hohen Preis
des Semestertickets Die bisherigen Preiserhöhungen wurden in der Erwartung hingenommen, dass das
3 Preis des Münchner Semestertickets ab dem Sommersemester 2022 aufs Jahr bezogen:
(72,00€ Solidarbeitrag + 209,30€ IsarCard Semester) * 2 = 562,60€ / Differenz zum 365€-Ticket ergibt 197,60€
4
LK Bad Tölz-Wolfratshausen, Dachau, Ebersberg, Erding, Freising, Fürstenfeldbruck, München, Starnberg
5 125.000 Studierende * 72,00 € Solidarbeitrag * 3 Semester (SoSe 2020, WiSe 20/21, SoSe 21) = 27.000.000 €
365€-Ticket im Jahr 2023 eingeführt und damit den hohen ÖPNV-Kosten bald Abhilfe geschaffen wird.
Nachdem Herr Ministerpräsident Dr. Söder sich am 17.07.22 in einem Interview mit der Bild am Sonntag
für ein deutschlandweites 365€-Ticket ausgesprochen hat, ist die Kehrtwende des Freistaats Bayern
bei der Finanzierung des 365€-Ticket für Studierende absolut nicht nachvollziehbar [4]. Wir erwarten,
dass der Freistaat Bayern sich weiterhin an der Finanzierung des 365€-Tickets für Studierende
substanziell beteiligt und fordern hierzu die zeitnahe Einrichtung eines Runden Tisches zwischen den
Akteuren der Verbundlandkreisen, der Landeshauptstadt München und den beteiligten
Interessensvertretungen mit dem Freistaat Bayern, um ein Scheitern des Projekts abzuwenden und
junge Menschen in akademischer Ausbildung zu entlasten.
Mit freundlichen Grüßen
Judith Greil Maximilian Frank Dr. Ursula Wurzer-Faßnacht
Vorstand Kreisjugendring Koordinator des AK Mobilität Geschäftsführerin (komm.)
München-Stadt Studentenwerk München
Die Münchner Stadtratsfraktionen
Die Mitglieder des Netzwerks junge Mobilität
Quellen:
[1]https://www.csu.de/common/csu/content/csu/hauptnavigation/dokumente/2018/Koalitionsvertrag__
Gesamtfassung_final_2018-11-02.pdf; S.48
[2] https://risi.muenchen.de/risi/dokument/v/7118180
[3] https://www.mvv-muenchen.de/mvv-undservice/presse/pressemitteilungen/news/detail/news/neue-fahrpreise-im-mvv-zum-fahrplanwechselam-12-dezember-2021/index.html
[4] https://www.bild.de/politik/2022/politik/markus-soeder-im-interview-ampel-will-die-deutschenumerziehen-80721244.bild.html
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