24. Februar 2016

Geflüchtetenprogramm 2016: München. Miteinander. Leben.



Das Zusammenwachsen der bisherigen  und der neuen Bewohner*innen ist eine Herausforderung für München.

Mit neuen Ideen wollen wir zeigen, wie wir in München das Miteinander mit Leben füllen.

Sprache

1. Wir fordern den Ausbau der Angebote zum Erwerb der deutschen Sprache.
Für viele ist der Erwerb der deutschen Sprache ein wichtiger Schritt hin zu einem neuen Leben in Deutschland. Wir möchten, dass allen, die die Deutsch lernen möchten, die Möglichkeiten dazu geboten werden. Der Mangel an Sprachkursen stellt ein riesiges Problem dar und die Forderungen aus dem konservativen Lager, sie verpflichtend zu machen, sind politische Nebelkerzen um vom Versagen bei der Bereitstellung abzulenken. Gleichzeitig wollen wir, dass das Zusammenwachsen der bisher in Deutschland lebenden und er Neuankömmlinge, wechselseitig ist. Wir sind nicht der Meinung, dass Deutschsprachigkeit die unbedingte Voraussetzung für ein erfolgreiches Leben in Deutschland ist, sehen aber eine immense Nachfrage nach Sprachkursen vonseiten Geflüchteter. Ein Sprachkurs ist daher keine „Integration durch Anpassung“ und darf auch nicht so verstanden werden. Vielmehr ist er eine Qualifizierungsmaßnahme in deren Rahmen die Teilnehmer neben der Sprachkenntnisse auch Wissen über Umgangsformen und kulturelle Kodizes erhalten. Jeder Geflüchtete soll vom ersten Tag seiner Ankunft an die Möglichkeit zur Teilnahme an einem Sprachkurs erhalten. Den weiteren Ausbau sogenannter „Integrationskurse“ lehnen wir ab.
Um ein Lernen in einer sicheren Atmosphäre zu ermöglichen, fordern wir auch spezifische Frauen*-Sprachkurse anzubieten.

2. Wir fordern den Aufbau eines Programms der Sprachvermittler*innen.
Viele Ehrenamtliche geben privat oder im Rahmen von gemeinnützigen Organisationen und Vereinen Sprachkurse und helfen dabei Geflüchteten. Bei einem gleichzeitigen Mangel an professionellen Kräften leisten diese Freiwilligen Enormes! Wir möchten ihre Arbeit verbessern, indem ihre Arbeit in die Arbeit der Professionellen ergänzend integriert wird. Hierfür möchten wir, dass sie um die aktuell hohe Nachfrage besser bedienen zu können, grundlegend für die Sprachvermittlung gebildet werden und für ihre Arbeit eine Aufwandsentschädigung erhalten. Sie stellen keinen Ersatz für Sprachlehrer dar. Wir erachten es aber als wichtig, die bereits jetzt getätigte Arbeit der Ehrenamtlichen zu unterstützen und damit das Angebot an Geflüchtete zu verbessern.

3. Wir fordern die intensive Förderung von Menschen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist.
Um Sprachbarrieren für Kinder, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, im Schulunterricht abzubauen, sollen in Übergangsstunden zusätzliche Fördermaßnahmen erfolgen. Wir lehnen eine Segregation von Kindern mit Migrationshintergrund ab. Vielmehr soll von Anfang an eine Teilhabe am Klassenverband aktiv gefördert werden. Um die Schüler*innen jedoch nicht mangels deutscher Sprachkenntnisse oder sozialen Anschluss zu überfordern, muss ausreichend Betreuung durch Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen gewährleistet sein.

4. Wir fordern, dass der Anspruch auf einen Kindergartenplatz für alle Kinder in Deutschland gilt.
Die Benachteiligung für geflüchtete Kinder und Kinder von Geflüchteten durch den mangelnden Anspruch auf einen Kindergartenplatz halten wir für ungerechtfertigt. Die Kita ist ein wichtiger Anker der frühkindlichen Bildung und muss allen Kindern gleichermaßen zur Verfügung stehen. Kinder ab sechs Jahren sind nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland dazu verpflichtet eine Schule zu besuchen, genauso sollten auch Eltern für Kinder ab drei Jahren nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland den Anspruch auf einem Kindergartenplatz erheben dürfen.

Arbeit

5. Wir fordern das Recht zu Arbeiten für jede*n, der/die sich in Deutschland aufhält.
Jeder Mensch in Deutschland muss das Recht haben, selbst für seinen Lebensunterhalt aufzukommen und einen Beruf auszuüben. Wir lehnen jede Form von Arbeitsverbot ab.

6. Wir fordern die Staatsangehörigkeit für jeden in Deutschland geborenen Menschen.
Jeder in Deutschland geborene Mensch soll automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Ebenso sollen sich die deutsche und eine ausländische Staatsbürgerschaft nicht ausschließen. Jede*r dieser Deutschen muss das Recht haben, mit seiner Familie in Deutschland zu leben.

7. Wir fordern die Einstellung von Geflüchteten für Unternehmen zu erleichtern.
Für viele Unternehmen ist die deutsche Bürokratie und die Vorrangprüfung ein Hindernis, Geflüchteten eine berufliche Perspektive zu eröffnen. Ihnen muss durch eine Koordinierungsstelle beratend zur Seite gestanden werden und Geflüchtete müssen endlich mit EU-Bürger*innen gleichberechtigt werden. Es darf nicht sein, dass der aufenthaltsrechtliche Status eines Menschen in Deutschland ihn bei der Arbeitssuche benachteiligt.

8. Wir fordern, dass Asylbewerber*innen nach einer abgeschlossenen Ausbildung in Deutschland mindestens nochmal so lange in Deutschland bleiben dürfen wie ihre Ausbildung gedauert hat, um in dem Betrieb zu arbeiten.
Viele Unternehmen möchten Geflüchtete als Auszubildende anstellen, werben aber zu Recht dafür diese über die Ausbildung hinaus anstellen zu dürfen. Es darf nicht sein, dass Geflüchtete bei der Ausbildungssuche benachteiligt werden, weil Unternehmen wirtschaftliche Risiken durch einen eventuellen Wegfall der Arbeitskräfte nach hohen Ausbildungskosten fürchten. Sie müssen nach der Ausbildung in dem Betrieb mindestens genauso lange arbeiten dürfen, wie ihre Ausbildung gedauert hat.

Kultur

9. Wir fordern Kultur für alle.
Gerade da Stadträtinnen und Stadträte einen kostenfreien Zugang zu kulturellen Veranstaltungen für sich in Anspruch nehmen, fordern wir dasselbe für Flüchtlinge, deren Einkommen zu niedrig sind. Voraussetzung hierfür soll sein, dass das zu versteuernde Einkommen das Existenzminimum (Hartz-IV-Regelsatz) unterschreitet.

Politische Vertretung

10. Wir fordern eine politische Vertretung für Geflüchtete.
Durch eine Ombudsstelle sollen die Interessen von Geflüchten zusammengetragen, strukturiert und in die Stadtpolitik mit eingebracht werden. Diese Ombudsstelle soll Rederecht im Stadtrat erhalten.

Ehrenamt

11. Wir fordern den Ausbau einer ehrenamtlichen Koordinationsstelle.
Um ehrenamtlichen Helfer*innen die Arbeit massiv zu erleichtern, ist eine allgemein bekannte Koordinationsstelle notwendig. Eine solche Zentrale würde nicht nur die Vernetzung außerhalb einzelner Asylhelferkreise fördern, sondern auch aufzeigen, wo noch mehr Engagierte und Hilfsgüter gebraucht werden. Die Koordinationsstelle soll Helfer*innen unter anderem bei bürokratischen Hürden unterstützen und sie damit zeitlich entlasten.

12. Wir fordern die Einstellung momentan in Vollzeit arbeitender Ehrenamtlicher und ein Entgelt für Sprachvermittler*innen.
Ohne die ehrenamtliche Hilfsbereitschaft seitens der Münchner*innen würde die Versorgung der Geflüchteten in München mit deutlich mehr Komplikationen verlaufen. Dennoch darf ein solcher Zustand nicht dazu führen, dass sich der Freistaat Bayern ausschließlich auf dem Engagement Ehrenamtlicher ausruht! Menschen, die ganztägig arbeiten, haben einen Verdienst dafür verdient. Deshalb fordern wir die Einstellung in Vollzeit arbeitender Ehrenamtlichen.
Helfer*innen, die sich nachweislich mehr als 20h pro Monat für Geflüchtete einsetzen, sollen darüber hinaus eine Monatskarte für den gesamten Münchner Innenraum erhalten. So können nicht nur durch die Arbeit entstandenen Kosten grob ausgeglichen werden, es wird gleichzeitig auch die Anerkennung der Stadt für diese besondere Arbeit ausgesprochen.
Außerdem fordern wir eine finanzielle Entschädigung für die Sprachvermittler*innen. Es muss verdeutlicht werden, dass ihre Arbeit und damit einhergehender zeitlicher Aufwand nicht ungesehen bleibt!

13. Wir fordern die finanzielle Unterstützung von Projekten Ehrenamtlicher.
Es kann und darf nicht sein, dass Ehrenamtliche, die Aktivitäten für Geflüchtete anbieten für eventuelle (Neben-)Kosten selbst aufkommen müssen. So müssen Engagierte bei zum Beispiel einem Kinobesuch mit Geflüchteten für sich selbst die Kinokarte bezahlen. Das schreckt ab und verringert die Angebote für Geflüchtete! Eine Kostenentschädigung würde diesen Zustand sofort beheben.

Wohnen

14. Wir fordern dezentrale, menschenwürdige Flüchtlingsunterkünfte.
Wir lehnen die Unterbringung von Geflüchteten in Massenunterkünften ab, und fordern eine dezentrale Unterbringung.
Solange eine Unterbringung in Sammelunterkünften Realität ist, fordern wir in den Massenunterkünften eine die Privatsphäre schützende Unterbringung, gewährt durch mindestens 2,5 m hohe blick- und schalldichte Trennwände. Den Flüchtlingen wird so ein Minimum an Freiraum für die Gestaltung des privaten Tagesablaufs zurückgegeben, wie z. B. die Möglichkeit zu schlafen, wann es gewünscht ist, oder sich privat umzuziehen.
Des Weiteren müssen Hygienestandards eingehalten, kontrolliert und verbessert werden. Ebenso muss in der Übergangszeit in Massenunterkünften sichergestellt werden, dass die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen beachtet werden. Kinder wollen miteinander spielen und das in einem geschützten Umfeld. Deshalb müssen in Flüchtlingsunterkünften Räume nur für Kinder und Jugendliche geschaffen werden, wo gespielt und sich mit Gleichaltrigen ausgetauscht werden kann. Auch private Rückzugsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche sind nötig.

15. Wir fordern integrative Wohnprojekte stärker zu fördern.
Die Bereitschaft für integratives Wohnen, das heißt neue Arten des Zusammenwohnens mit Geflüchteten, ist vorhanden in München und muss gefördert werden durch geringere bürokratische Hürden und finanzielle Mittel. Ein Projekt wie z.B. das Wohnheim für Studenten und Flüchtlinge von Condrobs e.V. sollte zum Vorbild für weitere kreative und integrative Wohnprojekte werden.

16. Wir fordern die Eignungsfeststellung von Personal in den Unterkünften.
Das Personal ist Anlaufstelle für Flüchtlinge, wenn sie Hilfe oder Informationen benötigen, und sollte ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Wir glauben, dass diese Funktion des Personals durch Personen mit fremdenfeindlichen und rassistischen Einstellungen nicht gewährleistet ist. Deshalb fordern wir eine dahingehende Überprüfung des Personals in Flüchtlingsunterkünften.

17. Wir fordern eine Unterbringung in geschützten Unterkünften für Opfer von körperlicher oder psychischer Gewalt.
Jede*r muss einen Antrag auf geschützte Unterkunft stellen können, wenn er oder sie Gewalt in der Unterkunft erfahren hat oder traumatisiert ist. Dabei soll jeder Antrag einzeln behandelt werden und die spezifischen Umstände gewürdigt werden. Besonders, aber nicht nur, für Frauen und LGBT*I soll es Kontingente für eine geschützte Unterbringung geben.

Gesundheit

18. Wir fordern gleichwertige medizinische Versorgung und einen unbürokratischen Zugang zu medizinischer Versorgung für alle Menschen.
Der bürokratische Aufwand eines Arztbesuches darf nicht zur Verschleppung und Verschlechterung von Krankheiten und zu Schmerzen führen. Wer krank ist, sollte sich nicht auch noch mit Formularen rumschlagen müssen. Wir fordern eine Eingliederung der Geflüchteten in gesetzlichen Krankenkassen durch einen Rahmenvertrag zwischen dem Freistaat Bayern und den gesetzlichen Krankenkassen. Der Rahmenvertrag muss eine Regelung der anfallenden Kosten und ebenso ein umfassendes Leistungsspektrum für Geflüchtete enthalten. Der Freistaat Bayern muss seine Blockadehaltung aufgeben und es den Kommunen endlich ermöglichen, eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge einzuführen.

Frauen*

19. Wir fordern mehr reine Frauenunterkünfte.
Immer wieder gibt es in München Vorwürfe von Übergriffen auf weibliche Flüchtlinge in ihren Unterkünften. Viele Frauen* haben vor oder während ihrer Flucht Gewalt erfahren müssen. Wir wollen diesen Frauen* in einer geschützten Unterkunft ein sicheres Umfeld bieten. Allen Frauen*, vor allem Alleinstehenden Frauen, alleinerziehenden Müttern und Opfern von Gewalt soll in diesen Unterkünften geholfen werden, sich (wieder) sicher zu fühlen. Zumindest ein Teil der geschützten Unterkünfte soll auch Fachstellen für Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution beinhalten. Wir fordern für Frauenunterkünfte weibliches Personal, denn nur so kann ein Umfeld geschaffen werden, in dem sich die Frauen sicher fühlen.

20. Frauen müssen auf ihre Rechte aufmerksam gemacht werden.
Daher wollen wir, dass Frauen besonders über ihre Rechte und Ansprüche aufgeklärt werden. Elementar muss dabei die Gleichstellung der Geschlechter im deutschen Recht sein, aber ebenso sollen Frauen auf ihre Ansprüche z.B. auf Kinderbetreuung hingewiesen werden und es soll ihnen geholfen werden diese Rechte wahrzunehmen.

LGBT*I

21. Wir fordern die Einrichtung von eigenständigen Unterkünften für LGBT*I.
In ihrer Heimat  sind LGBT*I häufig Gewalt und (strafrechtlicher) Verfolgung ausgesetzt. Auch in der vielfältigen Gruppe der Geflüchteten sehen viele LGBT*I die Notwendigkeit ihre sexuelle Identität zu verbergen aus Angst vor Gewalt und Stigmatisierung. Durch die Einrichtung  von eigenen Unterkünften wird eine angstfreie Umgebung geschaffen. Die Unterkünfte sollen an Orten sein, an denen bereits eine queere Szene und Unterstützungsangebote vorhanden sind.

22. LGBT*I müssen auf ihre Rechte aufmerksam gemacht werden.
Geprägt durch schlechte Erfahrungen mit Mitmenschen oder ihrem Herkunftsstaat wollen viele LGBT*I ihre sexuelle Identität den deutschen Behörden gegenüber verstecken. Sie sollten daher so früh wie möglich umfassend darüber aufgeklärt werden, dass ihnen hier keine Verfolgung droht und auf Angebote speziell für LGBT*I hingewiesen werden. Ebenso müssen die Beamt*innen für die Bedürfnisse von LGBT*I sensibilisiert werden.

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

23. Wir fordern die Aussage von Betroffenen als allein entscheidend für die Altersfestlegung zu machen.
Haben junge Geflüchtete keine Passdokumente bei sich, soll ausschließlich ihre Altersangabe für eine Altersfestlegung entscheidend sein, da  jedes medizinische Verfahren der Altersbestimmung ungenau ist. Wenn das Alter einer Person nicht absolut zweifelsfrei geklärt werden kann, muss den Angaben Glauben geschenkt werden. Alles andere wäre gegen rechtsstaatliche Grundprinzipien.

Bildung

24. Wir fordern Arabisch als weiterführende Fremdsprache an allen Schultypen anzubieten.
Um Vorurteile gegenüber der arabischen Welt und dem Islam abzubauen und einem berechtigten Interesse vieler Schüler*innen an der Sprache und Kultur dieser Region Rechnung zu tragen, möchten wir Arabisch als weiterführende Fremdsprache an allen Schultypen zur Option stellen.

Nur grenzenlos glücklich

Für ein multi- und interkulturelles Zusammenleben sind unsere Forderungen essentiell. München kann nur mehr leisten, wenn den Menschen mehr ermöglicht wird. Mit unserem Geflüchtetenprogramm möchten wir dafür den Grundstein legen. Die Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit und Solidarität müssen unbedingte Leitlinien unserer Stadt sein – und zwar nicht Schritt für Schritt, sondern jetzt! Unsere Forderungen beruhen auf dem Wunsch nach einer fairen, lebenswerten und chancengerechten Welt – und zwar für alle, unabhängig von Aufenthaltsstatus oder Herkunft. Unser Ziel muss eine grenzenlose Welt sein, die jedem Menschen dieselbe größtmögliche Freiheit ermöglicht. Glücklich sein geht nur ohne Grenzen!



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